ELISABETH WEINBERG 1922 – 1942

„Liesl Weinberg, Opfer des Nationalsozialismus“, so steht es geschrieben auf dem schwarzen Granit unter dem großen Baum. Unübersehbar die vielen kleinen Kiesel auf dem Grabstein, die Menschen als Zeichen ihres Besuches hinterlassen haben. Der jüdische Friedhof liegt außerhalb der Stadtmitte Nienburgs und ist hinter einer hohen Mauer verborgen, trotzdem finden Besucherinnen und Besucher ihren Weg hierher: Grabsteine – beredte Zeugen der jüdischen Kultur unserer Stadt.

Frieda und Leo Weinberg mit den Kindern Elisabeth und Karl
Foto privat

Elisabeth Weinberg, am 30. März 1922 in Hannover geboren, lebte mit ihren Eltern und drei Brüdern in der Hafenstraße. Das Haus steht heute nicht mehr. Die Eltern verdienten mit Viehhandel den Lebensunterhalt der Familie

Elisabeth besuchte die Hindenburgschule (heute Marion-Dönhoff-Gymnasium), damals eine reine Mädchenschule. Sie war eine gute Schülerin, hatte Spaß mit ihren Freundinnen. Und sicherlich verlief ihr Leben ähnlich wie das vieler anderer Mädchen jener Zeit. 

Einen Unterschied gab es – die Religionszugehörigkeit. Elisabeths Familie gehörte der jüdischen Gemeinde Nienburgs an. Dies bedeutete in Deutschland, einem mehr oder weniger offenen Antisemitismus ausgesetzt zu sein. Antijüdische Ausschreitungen sind in Niedersachsen seit dem 13. Jahrhundert dokumentiert. 1933 kamen nach den Reichstagswahlen die Nationalsozialisten an die Macht. Adolf Hitler wurde Reichskanzler. Menschen jüdischen Glaubens waren von nun an in ihrer Existenz und ihrem Leben bedroht. Einige erkannten die Bedrohung und flohen aus Deutschland, andere blieben. Deutschland war schließlich ihre Heimat.


„Was wird wohl kommen?“ fragte sich Elisabeth.

Die Pogrome ab 1938 schlossen jüdische Menschen vom gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben aus. Elisabeth war gezwungen, eine Kennkarte zu beantragen und den Vornamen „Sara“ anzunehmen. Sie durfte nicht mehr zur Schule gehen, keine Ausbildung machen. Dem Vater wurde die Konzession für den Viehhandel entzogen. Sie mussten den gelben Stern tragen, die Wohnung wurde mit einem „J“ versehen.

Das Weinberg'sche Haus
Foto privat


Wovon sollte die Familie leben?

Die Brüder von Elisabeth verließen 1936 bzw. 1938 das Land und emigrierten. Elisabeth blieb zurück bei den Eltern. Elisabeth Weinberg 1938 Foto: privat Welches Leid sie durchlebte, ist für uns kaum vorstellbar. 1942 bestand die jüdische Gemeinde noch aus 18 Personen. In einem Brief wurden sie aufgefordert, sich am 28. März 1942 auf dem Nienburger Schlossplatz einzufinden. Von dort wurden sie in das KZ-Außenlager Hannover-Ahlem abtransportiert. Am 31. März 1942 um 13.00 Uhr wurden mehrere Hundert Menschen mit Lastwagen von Hannover-Ahlem zum Bahnhof Fischerhof gebracht und in den Sonderzug Da 6 (= Deutsche Aussiedler, Zugnummer 6) nach Trawniki in Polen gezwungen. Der Zug verließ den Bahnhof laut Plan um 18.36 Uhr. Die Menschen sollten im Vernichtungslager Belzec ermordet werden. Doch dieses Lager war bereits „voll“. Der Zug wurde nach Warschau umgeleitet und kam dort am 2.04.1942 um 0.30 Uhr an. Man brachte die Menschen – darunter vermutlich Elisabeth und ihre Familie - in das Warschauer Ghetto. Ab dem 22. Juli 1942 rollten Züge in das 65 km entfernte Vernichtungslager Treblinka. Jeden Tag verließ ein „Sonderzug“ Warschau um 12.25 Uhr und kam um 16.30 Uhr in Treblinka an. Die Züge fuhren leer zurück...

„Achtung, Warschauer Juden!
Ihr befindet Euch hier in einem Durchgangslager, von dem aus der Weitertransport in Arbeitslager erfolgen wird. Zur Verhütung von Seuchen sind sowohl Kleider als auch Gepäckstücke zum Desinfizieren abzugeben. Gold, Geld, Devisen und Schmuck sind gegen Quittung der Kasse zu übergeben. Sie werden später gegen Vorlage der Quittung wieder ausgehändigt. Zur Körperreinigung haben sich alle Ankommenden vor dem Weitertransport zu baden.“

Welch zynische Lüge! Die Duschen waren nur Attrappen. Aus ihnen strömte kein Wasser, sondern die Abgase eines Dieselmotors.

Elisabeth und ihre Eltern Frieda und Leo Weinberg wurden wie Millionen weiterer Menschen ermordet. Liesl wurde 19 Jahre alt.

Dieses ungeheuerliche Verbrechen soll nicht vergessen werden. Daher wurde Elisabeth Weinberg als Namensgeberin für den Jugendpreis ausgewählt, stellvertretend auch für die Nienburgerinnen und Nienburger jüdischen Glaubens, die wie sie in die verschiedenen Todeslager verschleppt und ermordet wurden: :

Johanne Beermann, 50 Jahre alt
Alfred Birkenruth, 48 Jahre alt
Erna Birkenruth, geborene Löwenstein, 46 Jahre alt
Hanns Birkenruth, 19 Jahre alt
Walter Birkenruth, 12 Jahre alt
Julius Birkenruth, 76 Jahre alt
Berthold Hess, 45 Jahre alt
Sophie Hess, geborene Birkenruth, 42 Jahre alt
Albert Hünerberg, 62 Jahre alt
Johanne Jacobs, geborene de Jonge, 66 Jahre alt
Eva de Jonge, 64 Jahre alt
Jeanette Löwenstein, geborene Meyberg, 86 Jahre alt
Grete Marcus, geborene Lilienfeld, 59 Jahre alt
Rosa Marcus, 31 Jahre alt
Sophie Schragenheim, 49 Jahre alt
Leopold Weinberg, 66 Jahre alt
Frieda Weinberg, geborene London, 56 Jahre alt